Der Kiosk
Eine Ente, auf der man für einen Franken reiten kann, ein Caravan als improvisierter Wurststand, Tische und ein Dutzend Stühle, die sogar bei Regen besetzt sind, dank eines Baugerüsts. Seit Jahren kaufe ich hier meine Zigaretten, manchmal abends einen kleinen Whiskey und während des kläglich gescheiterten Versuchs, mit dem Rauchen aufzuhören, waren es Kaugummis. Seit Jahren sehe ich hier dieselben Gesichter. Man diskutiert miteinander, streitet, schweigt, trinkt und raucht – und manche kommen nur zum Zeitunglesen. Wenn ich spät abends nach Hause komme, sitzen sie immer noch da, und wenn ich früh morgens auf den Zug muss, was zugegebenermassen nicht oft vorkommt, sind die Stühle schon besetzt, eine trinkt dann vielleicht Kaffee und ein anderer ist noch auf dem Heimweg und hat ein letztes Bier vor sich.
Man kennt sich hier mit Namen und weiss, wer wann im Spital ist. In der Regel wohnt man schon lange im Quartier, hat erlebt, wie das Tram auf dem Röschibachplatz gekehrt hat und wie eine Beiz nach der anderen zugegangen ist. Aus der einen ist ein Szenelokal geworden, aus der anderen ein vollautomatisches Hotel und einige sind ganz einfach verschwunden. Und so sitzt man nun hier, vor dem Kiosk, der kaum einen Designpreis bekommen würde, und trifft sich um die Plastiktische: «Emil, bring mir no eis!» Im Winter sitzt man drinnen im Sofa oder an der Bar, Platz genug hat es auch dann, meistens wenigstens.
Es wird hier geschimpft und politisiert, laut und deutlich. Man nimmt hier kein Blatt vor den Mund – das fehlte gerade noch. Und manchmal kocht es hoch, wenn ein Verschwörungstheoretiker alle überzeugen will, dass sie die falsche Zeitung läsen. Man kennt sich hier und schätzt sich, oder eben nicht, dann heisst es: «Jetz chunt dä wieder!» Ausserdem kostet der Kaffee weniger als anderswo, und das Bier und der Wein… Auch das ist wichtig für alle, die hier verkehren, vom Volksvertreter bis zum Zitronenfalter. Orte, wie Emils Kiosk am Röschibachplatz gibt es immer weniger in dieser Stadt, sie sind voller Geschichten, auch solcher, die nie erzählt werden.
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